Mal ehrlich: Wer hätte jemals für möglich gehalten, dass der Erretter des
Neo-Soul ausgerechnet aus Südafrika stammen würde? Schon im letzten Jahr wurde Nakhane auf dem renommierten Transmusicales Festival im französischen Rennes als "Best Newcomer” gehandelt – und das aus ziemlich gutem Grund: Nakhane verbindet in seinem einzigartigen Signature-Sound experimentelle elektronische Elemente mit zurückgelehntem Soul und dezenten traditionellen Einflüssen aus seiner afrikanischen Heimat zu einem sofort unter die Haut gehenden Hybrid-Mix. Nakhane räumt gründlich auf mit verstaubten Ambient-Stereotypen und verpasst dem gesamten Genre in seinen Tracks ein ganz neues, modernes Style-Make-Over!
Schon früh wurde Nakhane seine unglaubliche Stimme in die Wiege gelegt: Geboren in der südafrikanischen Kleinstadt Alice und aufgewachsen in der
nicht allzu weit entfernten Metropole Port Elizabeth, erinnert diese ganz besondere Reinheit seiner Vocals angenehm an sein grosses Vorbild Anohni, die
"mein ganzes Leben verändert hat." Ebenso, wie auch der südafrikanische Schriftsteller James Baldwin, wie der vielschichtige Allroundkünstler (Nakhane ist neben seiner Musik noch als Schauspieler, Buchautor und Dichter tätig) erklärt. Und nicht zu vergessen seine nahezu magnetische
Ausstrahlung: Nakhane verfügt sowohl auf, als auch abseits der Bühne über ein sofort einnehmendes Wesen und eine androgyne, fast schon schmerzhaft zerbrechliche Eleganz, der man seine Seelenpein unter der makellosen Oberfläche trotz allem deutlich anmerkt. "Als ich noch ein bekennender Christ war und jeden Tag zu Gott betete, war ich voller Selbsthass. Jeden Tag meines Lebens habe ich verzweifelt versucht, alles zu tun, um wie die anderen Menschen zu sein und heterosexuell zu fühlen. Ich habe mich sogar irgendwie davon überzeugen lassen, es wäre möglich, meine Homosexualität zu heilen. Ich habe ständig in Angst gelebt, meine Gefühle eines Tages nicht mehr kontrollieren zu können." Schon seit frühester Kindheit musizierte der Sohn einer Künstler- und Musikerfamilie mit seiner Mutter, seinen Schwestern und Tanten – eine ganz besondere Form der Magie, die den 29-jährigen Xhosa (nach den Zulu die zweitgrösste ethnische Gruppe in Südafrika) zumindest ein wenig von seiner Last der Scham und Angst befreite. “Plötzlich konnte ich auf der Bühne genau derjenige sein, der ich sein wollte. Ein unbeschreiblich befreiendes Gefühl", das sich auch auf seinem 2013 ausschliesslich in Südafrika veröffentlichten Albumdebüt "Brave Confusion" widerspiegelt, auf
dem es um die gegensätzlichen Emotionen zwischen Selbstgeisselung und Selbstermächtigung geht.
Und auch auf seinem neuen Longplay-Nachfolger "You Will Not Die" beschäftigt sich Nakhane mit dem tiefen Bedürfnis nach Emanzipation: Nachdem er sich nach seinem Coming-Out vom Urteil seiner Umwelt befreit hatte, macht er sich nun frei von einer weiteren, belastenden Bürde: Indem er seinen christlichen Glauben ablegt. Eine Entscheidung, die auf einem Traum basiert, der auch als Inspiration für den Albumtitel diente. "Eines Nachts träumte ich, dass mir eine Stimme mein Todesdatum verriet. Ich will nicht verraten, wie dieses Datum genau lautetet. Aber nachdem ich eine ganze Ewigkeit mit panischer Angst vor einer göttlichen Strafe leben musste, war das wie eine Befreiung. Ich konnte plötzlich sicher sein, nicht am nächsten Tag zu sterben und auch nicht in zehn Jahren. Also beschloss ich, diese verlorene Zeit irgendwie wieder gut zu machen und endlich das Leben zu führen, das ich schon immer führen wollte." Ein Aspekt dieser kompletten Lebensumstellung: Nakhane hörte auf, zu Gott zu beten.
Hatte der Musiker bisher täglich gebetet, umgab ihn nun komplette Stille. Eine alles einnehmende, innere Leere, vergleichbar mit einer schweren
Depression. Eine Stille, die er schliesslich mit Musik füllte. Eine besondere künstlerische Qualität mit universellem Anspruch, die seine Songs so berührend und eindringlich macht. Nakhane versteht es, den Moment in einer ganz besonderen Zerbrechlichkeit einzufangen, ohne ihn durch unnötigen
musikalischen Zierrat zu verwässern. Seine selbstgesteckte Richtlinie für das Album: Unerschrockene Songs zu erschaffen, die gleichzeitig allgemein
zugänglich sein sollten und sogar das Zeug zum Instant-Klassiker besitzen durften. "Ich liebe dieses Zitat von Éric Rohmer, einem meiner
Lieblingsregisseure: Er sagte, ihm wäre es am wichtigsten, dass das Publikum einen emotionalen Zugang zu seinen Filmen findet, nicht nur einen intellektuellen. Genauso halte ich es auch mit meiner Musik!"
Eine kreative Maxime, der Nakhane einige fundamentale Regeln zugrunde legt: "Mir war von Anfang an klar, dass es elektronische Sounds auf dem Album
geben sollte. Gerade in Johannesburg hört man viele Künstler, die sich fast krampfhaft zwingen, akustische Instrumente zu spielen, um so authentischer zu klingen. Doch das funktioniert nicht. Viele Technosounds aus Gay-Clubs klingen für mich dagegen viel authentischer, als das." Schon bald
entwickelte er seine ganz eigene Schaffensmethode, bei der er die Grundtracks auf dem Computer und Synthesizern komponierte, während er die
Songstrukturen zeitgleich auf dem Klavier und der Akustikgitarre anlegte. Eine perfekte Strategie, sich nicht in den endlosen Möglichkeiten
elektronischer Klangerzeugung zu verlieren. In einem weiteren Schritt wurden die Songs in reduzierten Akustikversionen auf ihre Tauglichkeit getestet,
bevor sich Nakhane schliesslich in London mit Producer Ben Christophers (Bat For Lashes) um die Arrangements kümmerte. Schon bald war man sich darüber
einig, seine gemeinsame Vorliebe für experimentelle Arbeitsweisen kompromisslos auszuleben. "Der Plan war, uns künstlerisch absolut treu zu
bleiben. Emotion und Energie sollten gleichberechtigt im Vordergrund stehen; eine Entscheidung, die manchmal recht schmerzhafte Konsequenzen hatte, wenn
wir zum Beispiel einen Piano-Part weglassen mussten, der einfach zu perfekt gepasst hätte. Wie kann ich anderen kommunizieren, was ich selbst nicht
fühle?"
Emotionen und Energie, die sich auf dem wunderschönen "Violent Measures" mit seinen kristallklaren Harmonien oder dem elektrifizierend-atemlosen, von Jean Cocteaus Roman "Les Enfants Terribles" inspirierten "Clairvoyant" sofort auf den Hörer übertragen. Eine Stimmung, der sich auch die schwerelose Klavierballade "You Will Not Die" anschliesst, während Nakhane im
Quasi-Popsong "Presbyteria" die erste Kirche beschreibt, die er in seiner Geburtsstadt Alice besuchte, während er in dem bluesig-atmosphärischen "The Dead" Zwiesprache mit seinen Xhosa-Vorfahren hält. Mit der inbrünstigen Soul-Nummer "Star Red" verneigt sich Nakhane dagegen vor seiner geliebten Grossmutter ("eine echte Rebellin innerhalb ihrer Religion. Sie war eine der ersten, die mich ermutigten, mein Leben nach meinen Wünschen zu leben"), lässt auf "By The Gullet" elektronische Beats sprechen und endet schliesslich
mit dem aussergewöhnlichen "Teen Prayer". Nakhane lässt auf seinem neuen Album sämtliche wichtigen Einflüsse Revue passieren, die ihn sowohl als Kind, als auch später als Musiker entscheidend geprägt haben: Angefangen bei amerikanischen Musicals über Künstler wie Marvin Gaye, Nina Simone, Ahnoni und David Bowie, bis hin zu Busi Mhlongo, Simphi Dana, Mbongwana Star und TkZee. Ikonen ihrer Zunft und Zeit, die ihn zu dem formten, was Nakhane heute darstellt: Einen südafrikanischen Künstler mit dem kreativen Potenzial, die ganze Welt zu erobern!
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